Driverstraße 22
Die deutschen Meinungsmacher von FAZ bis taz scheinen sich einig darin zu sein, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft einen autoritären Rollback erlebt. Der Einzug der AfD, einer Partei, die sich deutlich rechts der CDU positioniert, in den Bundestag und in sämtliche Landesparlamente wird dabei allerorten als Gradmesser angegeben. Für die sogenannte Mitte der Gesellschaft ist dies natürlicherweise eine willkommene Möglichkeit, ihre eigenen autoritären Tendenzen und den notwendig autoritären Gehalt einer staatlich verfassten Gesellschaft zu leugnen.
Doch nicht zuletzt die Novellierungen der Polizeischutzgesetze oder die Polizeistrategie während der G20-Proteste in Hamburg zeigen, dass es keine AfD in der Regierung braucht, damit der deutsche Staat beherzt zur Tat schreitet. Abseits staatlicher Organe lassen sich seit Jahren autoritäre Entwicklungen beobachten. Als Beispiel kann jede größere Tageszeitung von gestern, heute und übermorgen herangezogen werden – von Artikeln über die bedrohte Kultur bis hin zur unkritischen Wiedergabe von Polizeiberichten wird dem Autoritarismus nach dem Mund geredet: wahlweise links oder rechts, je nachdem, wie den Leser*innen ihre autoritären Bedürfnisse am besten schmecken.
Doch die Zeiten, in der Generationen im Kaiserreich mit dem Korpsgeist der Turner aufwuchsen, sind längst vorbei. Autorität kann nicht mehr als reiner Selbstzweck erscheinen. Die eigenen autoritären Bedürfnisse streben nach einer neuen Form der Legitimation. Diese findet sich unter anderem im Fußballstadion, mithilfe der Projektionsfläche des jugendlichen „Krawallfan“: seit Jahren wird hier jedes Wochenende der Polizeistaat erprobt, mit den Möglichkeiten der Schleifung demokratischer Rechte experimentiert und der Presse bei der erfolgreichen Produktion von (autoritären) Ideologien zugeschaut. Leider verfallen die betroffenen Fans und/oder Ultras dabei nur zu oft in ein Spiegelgefecht mit den staatlichen Organen. Sie übernehmen so die autoritären, von ihnen selbst lautstark kritisierten, Tendenzen stillschweigend und unbewusst. Somit tun sie sich schwer, den gesellschaftlichen Tendenzen ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen.
Der Vortrag möchte der Rolle des Stadions als Erprobungsraum autoritärer staatlicher Entwicklungen nachspüren und etwaige Entwicklungen schlaglichtartig betrachten. Es soll dargelegt werden, dass im besonderen Ort des Stadions eine gesamtgesellschaftliche Tendenz zur Durchsetzung kommt und im Begriff ist Prämissen für den kommenden Alltag zu schaffen.
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